Erholungsgebiete

Luna & Hades

Die Wiese ist saftig grün. So grün, dass man hineinbeißen möchte und all die Energie der Natur in sich aufnehmen möchte.
Ist es überhaupt möglich davon satt zu werden und ist es einfach die zerstörerische Art des Menschen sich daran bereichern zu wollen, anstatt die Wiese saftig grün sein zu lassen?
Gerne verallgemeinere ich diese kritischen Fragen, die in meinem Kopf aufploppen, weil ich mich nicht ständig selbst kritisieren möchte. Dennoch kritisiere ich leidenschaftlich gerne mich, weil ich immer da bin.
Man sagte mir, dass Selbstreflexion wichtig sei, aber sich andauernd zu kritisieren, sei genauso zielführend wie jeden Tag Bananen essen:
Gar nicht. Man kriegt lediglich Verstopfungen.
Das Sonnenlicht wird von einigen Bäumen, die sich in Gruppen zu einem kleinen Wäldchen zusammengefunden haben, durchbrochen, sodass einige Schattengewächse auch am Rande der Wiese wachsen können. Ich bin auf der Suche nach einem Fleckchen, wo ich mich erholen kann. Dieses Fleckchen wäre saftig grünes Gras, in das ich beißen dürfte, ohne mich dafür schuldig fühlen zu müssen.
Denn das Gras wäre unendlich, unendlich grün, unendlich friedlich.

Würden keine verzogenen Vorstadthunde über den weichen Rasen toben, könnte man denken, dass hier eine Idylle herrschen könnte.
Das hier scheint ein Erholungsgebiet zu sein und weil die Stadt, eingehüllt in das Licht der LED- Lichter der Straßenlaternen in sich keine Erholung ist, zieht es die BesitzerInnern der Vorstadthunde, die bevorzugt Luna oder Hades heißen, auf dieses Stückchen Wiese.
Ich bin nicht alleine auf dieser Welt: Zum Glück und doch manchmal unbefriedigend, weil es nervt.
Kann man nicht einfach in Ruhe den Himmel und die Wolkenverformungen anschauen?
Doch ich weiß, dass mich Lunas & Hades BesitzerInnen nur aufregen, weil ich Ihnen vorwerfe sich keine Gedanken darüber zu machen, was andere über ihre Hunde denken. Tief in sich wissen sie nämlich, dass es aufgeplusterte Namen für verzogene Hunde sind, die viel zu teure Winterpullover besitzen. Sie stehen aber dazu, dass ihr Hund privilegierter lebt als die meisten Menschen, weil sie sich nicht darum kümmern. Das werde ich diesen HundebesitzerInnen vor; bei manchen sicherlich zu Unrecht.
Erholung ist ein Privileg, das weiß ich, denn ich kann Gedanken daran verschwenden, dass die Wolken aussehen wie Dixi-Klos, Krokodile oder Enten, die Rucksäcke tragen.
Doch was bringt dieses Wissen, wenn es doch nichts ändert?
Manchmal wünschte ich mir einen Dackel, weil die für mich Verzogenheit versinnbildlichen. Jagdhunde, die zu Schoßhündchen gezwungen werde, was sie noch sturer macht als ohnehin schon. Ich wünschte mir diesen Dackel, weil ich jemanden hätte, der sich ebenso unverstanden fühlen würde. Würde ich dem 0815 Namen meines Dackels gerechter werden, als der Dackel selbst? Sein Name wäre wohl Otto als Sinnbildlichkeit meiner Otto-heit.
Dabei kann ich mich zurzeit nicht um einen Dackel kümmern – schade, denn dann könnte ich ihn Otto nennen und ignorieren, dass Otto ein schöneres Leben als die meisten Menschen hat.
So kann ichs nicht, fühle mich schuldig, kann nur mich selbst aus dieser Otto-heit holen, um andere die Möglichkeit zu geben, Otto werden zu können.

Ich spaziere also ohne Hund an der Leine weiter, rege mich über Luna & Hades auf, über mich selbst und meinen imaginären Dackel Otto, obwohl ich mich entspannen wollte.
Das Grün der Wiese tut mir fast in den Augen weh.
Wenn die Sonne mit ihren viel zu starken UV- Strahlungen die Grashalme berührt und das Grün noch verstärkter auf meiner lichtbrechenden Hornhaut des Auges ankommen lässt.
Langsam versuche ich meine Gedanken weiter auf das saftige Grün des Grases zu lenken. Als würde die Freiheit in ihm liegen.
Ich erreiche das kleine Wäldchen, wo ich eine kleine Lichtung sehe.
Augen zusammen kneifend, schaue ich mir das kleine Stückchen Ruhe an und denke daran eine Story bei Instagram zu posten, obwohl ich den Spaziergang nur für mich machen wollte. Wäre Otto hier, könnte ich sagen ich mache den Spaziergang für ihn – dann könnte ich mich entspannen und eine Story bei Instagram posten.

Karierte Picknickdecken
auf einer grünen Wiese
in meiner Instagram Story

Ich habe gesehen wie einige InfluencerInnen bei Instagram auf grüne Wiesen gegangen sind, um sich dabei zu filmen wie sie Bücher lesend auf einer Picknickdecke liegen. Die karierte Decke ist belegt mit einem Korb, in dem Weintrauben und Brot zu sehen sind, eine Limonade oder ein Weißwein gucken mit ihren Hälsen aus dem braunen Geflecht.
Während ich auf die spielende Hunde schaue, dessen BesitzerInnen ich für ihre Ignoranz gegenüber Menschen, die keine Hunde mögen (Randnotiz: Ich mag Hunde!), verurteile, möchte ich nach meinem Smartphone greifen und mir genau diese Art Videos anschauen.
Mein Handy in meiner Hosentasche zieht mich wie magisch an.
Ich unterlasse es in letzter Sekunde dem schwarzen Spiegel seine Macht über mich zurückzugeben.
Wieso können diese, mir so fremden Menschen, diese Macht auf mich ausüben?
Mein Blick wäre getränkt mit Neid, denn während diese InfluencerInnen gedanklich ihre Vollkommenheit künstlerisch verpacken, kann ich mich nicht mal bei einem Spaziergang im Grünen entspannen.

Diese Vollkommenheit ist eine Verbindung zwischen medialer Aufmerksamkeit, die durch eine Selbstinszenierung entsteht, die nicht geplant aussieht und zwischen einer Selbstverständlichkeit der eigenen Entfaltung dieser im Kopf kreierten Person.
Der/Die ProtagonistIn, dessen Beine in der Luft verschränkt sind, liegt auf einer karierten Picknickdecke. Die schmalen Knöchel sind vielleicht mit kleinen Tattoos verziert. Fine line Tattoos, die sich perfekt in die Natur inmitten des Großstadtjungles einfügen – eine kleine Vase, eine Taube oder ein kleiner Sonnenaufgang.
Durch die Haare, ob kurz oder lang, weht eine warme Brise, die durch den Bildschirm und das Räkeln der Person zu erahnen ist. Von dem Buch sieht man in einem kurzen Ausschnitt des Videos sowohl das Cover als auch ein bisschen Text. Es ist ein philosophisches Buch mit sozialkritischen Gedanken, die auf eine Tiefsinnigkeit hinter dem Social Media Wahnsinn hindeuten sollen oder es ist ein leichter Roman, der zur Leichtfüßigkeit der Person passt. Eine Repräsentation so pur, dass es nicht als Inszenierung, sondern als zufällig gefilmtes Ereignis gedeutet wird. Die Person hat ein Bild von sich selbst, sowohl in Social Media als auch im Privaten und verbindet beide Bilder in dem Video.
Eine Art Zerbrechlichkeit gemischt mit der Zufriedenheit der Zustimmung fremder Menschen. Das Video ist untermalt mit einem Lana del Rey Song:

Das halb zugeknöpfte Hemd verstärkt das Gefühl, dass die Person ausgelassen ist. Denn das ist ein ungeschriebenes Gesetz: Wer sein Hemd nur halb zuknöpft oder lässig über die Schulter rutschen lässt, kann nur ein Freigeist sein. Denn es ist egal, ob das Hemd sich im Laufe des Tages verabschiedet. Unter ihm wartet nur ein weiteres Kleidungsstück oder gar nackte Haut, die der Inbegriff von Body Positivity zu sein scheint. Da ist er wieder, der Neid, der meine Freude für die Person zu zerfressen versucht. Denn diese Person scheint frei zu sein – warum bin ich es nicht?
Diese Frage kreist in mir, während ich versuche, mich in diese Person reinzuversetzen. Ich möchte nicht missgönnen, neidisch sein, auf etwas, was eine andere Person für sich erreicht sein. Das wäre unfair und verbittert, was ich nicht werden möchte.
Ich möchte mich in die Person reinversetzen, um zu fühlen, was sie fühlt, um mein Hemd genau so tragen zu können.
Deswegen muss ich mehr von dieser Person konsumieren, um es nachbilden zu können: Das Gefühl von Freiheit.

Mein Drang nach Hause zu gehen ist groß, denn dort kann ich wieder mein Handy benutzen, ohne mein Versprechen an mich selbst zu brechen.
Dort kann ich mir einen neuen Instagram Account machen, den ich lunaundhades nennen werde und wo ich mein Video hochladen kann, welches ich von mir gemacht habe.
Ich liege auf einer Picknickdecke mit einem Buch, „So sad today“ von Melissa Broder, wo es um mental health, Sucht, trust issues und Realitäten zwischen Sex und Fantasie geht, um zu zeigen wie tiefsinnig ich bin. Meine Füße zeigen gen Himmel, um meine Sehnsucht nach Freiheit zu verdeutlichen.
Alles bullshit – denn ich fühle diese Vollkomenheit nicht.
Warum sollte ich etwas von mir Selbst inszenieren, wenn ich mein Sein zwar als selbstverständlich sehe (kenne es ja nicht anders), aber meine Existenz nicht den Sinn erfüllt, den sie haben sollte.
Ich wäre gerne diese Person, bin es aber nicht.
Bin nur gestresst und am Handy. Ich denke noch einmal an meine Vorstellung von Freiheit und daran, dass ich jemandes Gefühl durch das Tragen des gleichen Hemdes nachbilden möchte.
Ich kann es nur nachbilden, weil ich meine eigene Freiheit noch nicht kenne.
Und das tut weh.

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